Samstag, 12. November 2011

Es war einmal...

Inmitten der endlosen, arktischen Eiswüste, direkt neben dem Nordpol, steht ein kleines Haus. Es ist ein sehr kleines Häuschen, so klein, daß man es leicht übersieht, daher wurde es auch noch von niemandem entdeckt obwohl mittlerweile auch am Nordpol öfters Menschen herumlaufen. Doch so klein das Häuschen auch von außen erscheinen mag, innen ist es erstaunlich groß und geräumig. Es ist voller schier endloser Korridore, Gängen und Treppen welche die vielen Etagen und Zimmer miteinander verbinden. Daneben gibt es etliche weitläufige Werkstätten und Lagerhallen in denen Elfen das ganze Jahr über Spielsachen herstellen und aufbewahren. Im hinteren Teil des Hauses liegt noch ein geräumiger, nach Stroh duftender Stall für die Rentiere die in der heiligen Nacht den Weihnachtsschlitten über den Himmel ziehen. Denn das unauffällige Häuschen ist das Haus vom Weihnachtsmann, von hier aus bringt er Geschenke zu den Kindern in aller Welt. Nur ein kleiner Teil des Gebäudes wird von dem Weihnachtsmann selbst bewohnt. Da ist sein Schreibzimmer in dem er Listen mit den Namen aller Kinder aufbewahrt, mit ihren Wünschen und ob sie artig waren oder nicht. Eine gemütliche Stube in die er sich bei Gelegenheit zurückzieht um ein schönes Buch zu lesen, auf seiner verschrammelten Geige zu spielen oder sich einfach nur auszuruhen. Tja, und schließlich wäre da noch sein Schlafzimmer mit dem großen, kuscheligen Bett, den weichen Kissen und der dicken Decke – und hier fängt unsere Geschichte an... Jedes Jahr am 24. Dezember findet die Weihnacht statt, das ist so sicher wie nach dem Sommer der Winter folgt, dem Tag die Nacht und Sonnenschein auf Regen. Und genauso sicher kommt dann der Weihnachtsmann vom Nordpol geflogen um die Kinder zu bescheren. Das ist so, war so und wird auch immer so sein, kein Zweifel! Nun, das glauben zumindest alle, aber so sicher wie gedacht ist es dann leider doch nicht. Vor einiger Zeit nämlich wurde der Weihnachtsmann krank. Er bekam Fieber, begann zu husten, seine ohnehin schon rote Nase fing an zu tropfen und er fühlte sich ganz und gar elend. Kurz, der Weihnachtsmann hatte sich böse erkältet. Kein Wunder wenn man bedenkt, daß er am Nordpol wohnt, dort oben in der Kälte, umgeben von Eis und Schnee wird man fast zwangsweise ab und zu krank. Der Weihnachtsmann verkroch sich dick eingewickelt mit Schal, Mütze und Socken in sein Bett, schob sich eine Wärmflasche unter die Daunendecke und trank viel heißen Tee in den er Zwieback stippte, um die Erkältung wieder auszukurieren. Aber die Weihnacht kam immer näher und es wollte ihm einfach nicht besser gehen. Die Elfen machten sich große Sorgen, die Geschenke für die Kinder waren alle schon fertig, nur Wenige mussten noch verpackt und beschriftet werden. Aber wenn der Weihnachtsmann zu krank und schwach war, wer sollte sie dann verteilen? Viele Millionen Kinder warteten sehnsüchtig auf ihre Geschenke, sie alle in einer Nacht zu bescheren ist eine schwere Aufgabe, dafür musste der Weihnachtsmann Topfit sein. Ein kranker Weihnachtsmann dagegen konnte die Bescherung unmöglich bewältigen, was sollte nur geschehen?Nun lebten in dem Häuschen am Nordpol nicht nur der Weihnachtsmann, seine fleißigen Elfen und die Rentiere. In einem Winkel der Küche, gleich neben der Vorratskammer, wohnte still und unauffällig eine Mäusefamilie. Niemand störte sich an ihnen, sie waren nur klein und mit den wenigen Krumen zufrieden die in der Küche übrig blieben. Tom, der Mäuserich war nicht dumm, natürlich fiel ihm auf, dass die Mahlzeiten des Weihnachtsmanns, der ansonsten einen guten Appetit hatte, plötzlich nur noch aus Brühe, Zwieback und sehr viel Tee bestanden. Er folgerte daraus, dass der Weihnachtsmann krank sein musste. Kurzerhand beschloss Tom ihn zu besuchen, nach seinem Befinden zu fragen und gute Besserung zu wünschen.Von der Küche bis zum Schlafzimmer des Weihnachtsmannes ist es ein weiter Weg für eine kleine Maus, aber Tom war flink und ausdauernd und kein bißchen müde als er endlich am Ziel ankam. Er kletterte das Bett hinauf und setzte sich direkt vor dem Weihnachtsmann auf die Decke. Oje, der sah gar nicht gut aus. Der weiße Bart war struppig, die Nase knallrot und seine Augen klein und verschwollen, er schniefte und seine Stimme klang heiser.„Hallo, kleine Maus. Was führt dich zu mir? Bedaure, ich fühle mich nicht wohl und bin daher wohl nicht sehr unterhaltsam." „Ich bin Tom, Weihnachtsmann. Ich wohne mit meiner Familie in der Küche und wollte nach dir sehen. Als ich bemerkte, dass du nichts Richtiges mehr zu essen bekommst habe ich mir Sorgen gemacht." "Du bist ein schlaues Bürschchen, Tom. Ja, wie du siehst bin ich krank...", der Weihnachtsmann hustete, „ ... und es sieht nicht so aus, als ob es mir bald wieder besser ginge."
„Das tut mir leid, Weihnachtsmann..." Tom sah in das blasse Gesicht des Weihnachtsmannes dem es offensichtlich wirklich nicht gut ging, da kam ihm ein Gedanke und er erschrak!
„Aber... aber was ist mit Weihnachten? Morgen Abend ist es schon soweit und du musst doch den Kindern ihre Geschenke bringen! Weihnachten ohne Geschenke, das ist wie... wie Käse ohne Löcher! Äh... du weißt was ich meine?!"
Der Weihnachtsmann verzog gequält sein Gesicht. „ Ja natürlich, Tom. Es tut mir in der Seele weh wenn ich an all die enttäuschten Kinder denke. Aber was soll ich machen? Ich schaffe es kaum aus dem Bett hinaus, wie soll ich in diesem Zustand die vielen Gaben rund um die Welt verteilen?"
Tom lies seine großen Ohren hängen. „Ich weiß auch nicht. Aber ich fürchte es wird diesmal ein sehr trauriges Weihnachtsfest für alle werden..."
„Da hast du leider recht, Tom. Es ist ein Jammer! Eine Tragödie! Schlimmer, eine Katastrophe!"
Traurig sahen sie sich gegenseitig in die Augen und dachten an die Kinder die in dieser Nacht so bitter enttäuscht werden würden. Da hatte Tom eine Idee!
„Weihnachtsmann, hast du niemanden der für dich einspringen könnte, ausnahmsweise?! Hier sind doch so viele Elfen, vielleicht einer von denen!"
„Ach je, Tom, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Die Elfen sind willig und fleißig aber leider an einen Ort gebunden den sie nicht verlassen können. Hier an den Nordpol, anderswo an einen Wald, See oder Tal. Sie können nicht die ganze Welt bereisen, so wie es mein Stellvertreter natürlich müsste."
„Dann jemand anders. Vielleicht der Osterhase, oder der Nikolaus, meinetwegen die Zahnfee... ?", ereiferte sich Tom.
Der Weihnachtsmann lachte heiser. „Du bist ein lustiges Kerlchen, Tom. Warum nicht gleich ein Kobold? Nein, alle die in Frage kämen leben im Verborgenen, sind Unabkömmlich oder schlicht zu weit weg, die Weihnacht wäre längst vorbei bis sie hier wären. Alle anderen nähmen die Aufgabe womöglich nicht ernst genug, so wie Kobolde denen man im Übrigen nie Vertrauen sollte!". Wieder hustete der Weihnachtsmann und schnäuzte sich in ein großes, kariertes Taschentuch. „ Nein, kleiner Tom, mir fällt beim besten Willen keine Lösung für diese furchtbare Misere ein.
Niedergeschlagen trippelte Tom zurück in die Küche, zu seiner Frau Cindy und ihren Kindern Bert und Annie. Als er der Familie von dem kranken Weihnachtsmann erzählte und dass diesmal wahrscheinlich Weihnachten ausfallen würde, waren alle sehr traurig. Der kleinen Annie kullerten dicke Tränen über die pelzigen Wangen, ihr älterer Bruder Bert versuchte sich zu beherrschen aber seine zitternden Schnurrhaare zeigten wie aufgewühlt er in Wirklichkeit war.
„Oh Nein, das ist ja schrecklich! Weihnachten darf nicht ausfallen, auf keinen Fall! Es muß doch eine Lösung geben!"
Die resolute Cindy war gleichermaßen empört wie niedergeschlagen. Sie gehörte zu der Sorte Maus für die es immer einen Ausweg gab, egal wie verfahren eine Situation sein mochte. Das es diesmal anders sein sollte, noch dazu bei einer so wichtigen Angelegenheit, ging ihr entschieden gegen den Strich.
Tom nahm Cindy in den Arm „Leider nicht. Weihnachten ohne den Weihnachtsmann - das geht halt nicht, darüber erübrigt sich jede Diskussion. Aber der ist nunmal bettlägerig, es wäre ein Wunder wenn er noch rechtzeitig zur Bescherung wieder auf die Beine käme, so schwach und krank wie er ist."
„Und ein Ersatz für ihn?"
Tom schüttelte bedauernd den Kopf „Darüber haben wir geredet, es gibt dummerweise niemanden der den Weihnachtsmann morgen Abend ersetzen könnte. Leider!"
Als Cindy endlich die Ausweglosigkeit der Lage einsah wurden auch ihre Augen feucht. Sie drückte die kleine, jämmerlich schluchzende, Annie an sich und auch Bert flüchtete sich in die tröstende Umarmung.
An diesem traurigen Tag blieb bei der Mäusefamilie in der Küche des Weihnachtsmannes das Abendessen unangerührt auf dem Tisch stehen. Die schlechte Nachricht war allen auf den Magen geschlagen und hatte ihnen gründlich den Appetit verdorben. Nicht einmal Bert, der meist eher zu viel aß, konnte sich zu keinem Bissen überwinden.
Auch am Morgen danach blieb das Frühstück nahezu unbeachtet. Die sonst so kecke Annie rührte mit verweinten Augen in ihrem Müsli ohne auch nur zu probieren. Bert starrte sein Butterbrot feindselig an und Tom knabberte lustlos an einer Mandel. Cindy musterte die schweigsame Runde mit vorwurfsvollem Blick. Sicher, das war alles sehr traurig, aber ein gutes Frühstück war nun mal, besonders für die Kinder, die wichtigste Mahlzeit des Tages da ging sie auch sonst keine Kompromisse ein.
„Jetzt esst endlich. Ich habe das Frühstück nicht für umsonst gemacht!", sagte Cindy gerade streng zu der trübseligen Tischrunde, da unterbrach sie ein sanftes Pochen. Jemand klopfte an die Küchenwand in der ihr Bau war.
Cindy sah Tom erstaunt an, sie erwarteten keinen Besuch, eigentlich hatten sie nie Gäste. Sie waren die einzigen Mäuse am Nordpol und es war auch niemand, außer ihnen selbst, klein genug für ihre winzige Wohnung.
„Wer könnte das sein?" fragte Cindy
"Keine Ahnung. Aber wenn niemand nachsieht werden wir es auch nicht erfahren."
Tom ging zur Türe, öffnete sie und sah sich einem großen Paar grün beschuhter Füße gegenüber. Ein Elf beugte sich zu ihm hinab, musterte ihn mit seinen dunklen, schrägen Augen und fragte: „Bist du Tom, die Maus?"
„Ja, bin ich. Womit kann ich dir behilflich sein?"
„Du könntest mitkommen. Der Weihnachtsmann möchte dich sehen und ich soll dich zu ihm bringen."
„Oh! Natürlich."
Tom sagte noch kurz seiner Familie Bescheid, dann nahm ihn der Elf in seine Hände und trug ihn quer durch das Haus zum Schlafzimmer des kranken Weihnachtsmannes. Der bot immer noch einen beklagenswerten Anblick so wie er dick eingemummt mit verschnupfter Nase in seinem Bett saß. Insgeheim hatte Tom gehofft der Weihnachtsmann wäre auf wunderbare Weise über Nacht genesen, aber es war nur zu offensichtlich dass dem nicht der Fall war.
Der Elf setzte Tom auf der Bettdecke ab und gesellte sich zu seinen Kameraden von denen sich etliche in dem Zimmer versammelt hatten, miteinander tuschelten und neugierig zu Tom sahen.Der Weihnachtsmann schnäuzte in sein Taschentuch, es hörte sich an wie das Tröten eines kleinen Elefanten, und räusperte sich.
„Guten Morgen mein kleiner Freund, ich hoffe du bist wohlauf?"
„Ja, Danke, mir geht es gut. Aber wie ich sehen muß, dir leider immer noch nicht, und das obwohl heute Abend Weihnachten ist und alle auf dich warten."
„Ich weiß, Tom, deshalb habe ich dich holen lassen."
Der Weihnachtsmann sah dem Mäuserich ernst in die schwarzen Knopfaugen, holte tief Luft und verkündete dann mit fester Stimme: „Ich möchte daß du heute Abend meine Stelle einnimmst!"
Schlagartig wurde es völlig still in dem Zimmer, man hätte die berühmte Nadel fallen hören können. Tom war sprachlos und völlig perplex, seine Gedanken rasten wild im Kreis. Was hatte der Weihnachtsmann gerade gesagt? Er musste sich einfach verhört haben!
Da fingen die Elfen plötzlich an aufgeregt durcheinander zu reden, ihr Geschnatter brach den Bann und Tom entfuhr ein ungläubiges:
„Iiich?!"Der Weihnachtsmann nickte ernst.
„Ja, du, Tom die Maus! Du sollst dieses Jahr der Weihnachtsmann sein... oder die 'Weihnachtsmaus' wenn dir das lieber ist!"
„Das... soll ein Scherz sein, nicht wahr?"
Tom kicherte unsicher, denn irgendwie ahnte er schon, dass es dem Weihnachtsmann bitterernst war.
„Nein, mein kleiner Freund. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Weihnachten ausfallen zu lassen ist undenkbar, das darf einfach nicht sein, auf keinem Fall! Niemals!!!"
Bei diesen Worten hatte sich der Weihnachtsmann in seinem Bett aufgerichtet so sehr hatte er sich aufgeregt, lies sich aber sogleich wieder seufzend in die Kissen zurücksinken.
„Aber ich kann meine Aufgabe heute Nacht leider nicht erfüllen und niemand anders ist verfügbar – außer dir!"
Tom rutschte das Herz in die Hose. „Aber... aber ich bin nur eine Maus! Eine kleine, unwichtige Maus. Das kann ich nicht, unmöglich!"
„Ach Tom. Du bist klein, das stimmt. Aber es sind die kleinen Dinge in denen wahre Stärke liegt. Du weißt gar nicht zu was du fähig bist wenn du nur willst. Ich bin sicher, du wirst einen prächtigen Weihnachtsmann abgeben!"
„Ich bin nur eine Maus," fiepste Tom flehend, „Ich habe nie etwas anderes gesehen als deine Küche. Wie soll das funktionieren?"
„Nun, du bekommst die Liste mit den artigen Kindern, besuchst sie mit dem Schlitten, keine Angst, die Rentiere finden den Weg von selbst, und bringst ihnen die Geschenke. Du siehst, es ist eigentlich ganz einfach!"
Der Weihnachtsmann lächelte Tom zufrieden und scheinbar sehr überzeugt von seinen Worten an. Dem Mäuserich freilich war überhaupt nicht gut, ihm war flau im Magen und seine Beine schienen aus Pudding zu bestehen, er kam sich vor wie in einem üblen Traum. Das konnte doch nicht war sein, er sollte den Weihnachtsmann ersetzen? Er? Die kleine Maus aus der Küche, das kleinste und unscheinbarste Wesen am ganzen Nordpol? Das konnte nur ein Albtraum sein, aber gleich würde er in seinem Bett aufwachen und alles wäre wieder gut... Vorsichtig kniff sich Tom in den Arm
„Au!"
Er saß immer noch auf dem Bett des Weihnachtsmannes der sich die Nase putzte und ihn gütig anlächelte. Es war doch kein Traum gewesen. Er, Tom, war nun der offizielle Stellvertreter des Weihnachtsmannes. Er war 'die Weihnachtsmaus'!
„Oje...!" ...
Toms Familie nahm die Nachricht von seiner überraschenden Beförderung mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Für Bert und Annie war er ein Held, fast so toll wie der Weihnachtsmann selbst. Ihre leuchtenden Augen und bewundernden Blicke zerstreuten Toms letzte Überlegungen wie er sich vielleicht doch noch um die übermächtige Bürde würde drücken können. Cindy dagegen musterte ihn ungläubig von der Schwanzspitze bis zu den Schnurrhaaren.
"Bist du sicher, daß der Weihnachtsmann wusste was er sagte? Ich meine, er ist krank. Vielleicht auch... verwirrt? Tom, wir sind doch nur Mäuse, was hat er sich dabei nur gedacht? Dieser Plan kann doch gar nicht funktionieren!"
„Ehrlich, Schatz, ich weiß es auch nicht. Aber der Weihnachtsmann sagte es ist ganz einfach. Dabei schien er mir völlig klar im Kopf und gar nicht verwirrt. Und wenn der Weihnachtsmann etwas sagt, dann stimmt es auch!"
So richtig war Tom zwar nicht von seinen Worten überzeugt, und Cindys skeptisch erhobene Augenbraue zeigte überdeutlich ihre Zweifel an der Eignung ihres Mannes zur Weihnachtsmaus. Aber ein Blick in die strahlenden Gesichter seiner Kinder und Tom wusste, er würde sein Bestes zum Gelingen des Weihnachtsfestes geben, soweit es einer Maus eben möglich war...
Ein Klopfen an der Wand, der wartende Elf erinnerte Tom daran, daß es an der Zeit war zu seinem großen Abenteuer aufzubrechen. Er verabschiedete sich von seiner Frau die immer noch Zweifel hatte, und den Kindern die ihm voll und ganz vertrauten. Schließlich nahm ihn der Elf in die Hände und trug ihn davon.
Tom winkte seiner Familie zu bis er sie nicht mehr sehen konnte, er hatte ein flaues Gefühl im Bauch, vielleicht, er wagte es kaum zu denken, ging ja etwas schief und er würde seine Lieben nie wiedersehen. Dem Weihnachtsmann war zwar nie etwas geschehen, zumindest wusste Tom von nichts, aber er war ja nur eine Maus und nicht der echte Weihnachtsmann. Ihm fielen plötzlich tausend Gründe ein warum das Ganze in einer Katastrophe enden musste. Am liebsten wäre er dem Elf wieder aus der Hand gesprungen um sich im fernsten Winkel des Hauses zu verstecken, aber Tom war vor Angst wie gelähmt. Außerdem waren da noch Bert, Annie und die vielen Menschenkinder. Sie freuten sich schon das ganze Jahr über auf den Besuch des Weihnachtsmannes, hatten vielleicht schon Kekse und Milch als kleine Gabe für ihn bereitgelegt. Wie sehr wären sie enttäuscht wenn er nicht käme und der Platz für die Geschenke leer blieb, konnte er das verantworten? Tom musste nur an die glänzenden Augen seiner eigenen Kinder denken die so voller Zuversicht und Vertrauen in ihn waren und ihm wurde klar, er konnte nicht mehr zurück, so sehr ihm auch danach war.
Als sie endlich im Schlafzimmer des kranken Weihnachtsmannes ankamen, stellte der gerade eine Tasse Kamillentee zur Seite um sich die rote Nase zu putzten. Wieder waren etliche Elfen um sein Bett versammelt, alle sahen sie Tom neugierig entgegen.
„Ah! Mein kleiner Freund und Retter, bist du bereit für deinen großen Tag?"
„E... eigentlich nicht, wenn ich ehrlich bin.", fiepste Tom unsicher.
Der Weihnachtsmann lachte herzlich. Zwar nicht so laut wie sonst weil er ja krank war, aber er lachte.
„Das macht nichts, Tom, ich war es beim ersten Mal auch nicht. Ja, schau mich nicht so erstaunt an, alles hat irgendwann einen Anfang und alles wurde ein erstes Mal getan. Nichts ist schon immer so gewesen wie es Heute ist, nicht einmal Weihnachten."
Tom starrte den Weihnachtsmann mit großen Augen an. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen das es Weihnachten und den Weihnachtsmann nicht schon immer gegeben hätte. Schmunzelnd erinnerte sich der alte Mann:
„Du kannst dir gar nicht vorstellen was für einen Bammel ich damals hatte, am liebsten hätte ich mich in einem winzigen Mäuseloch verkrochen. Alle Kinder auf der Welt zu bescheren, in einer einzigen, kurzen Nacht, sowas schien mir völlig unmöglich. Und doch, Tom, habe ich es geschafft, und seitdem in jedem darauf folgenden Jahr!"
„Aber du bist groß, und stark, und der Weihnachtsmann – ich nur eine gewöhnliche Küchenmaus! Es wäre ein Wunder wenn ich es schaffe! Außerdem, ich habe nachgedacht. Die Nacht dauert nur wenige Stunden und in denen soll ich Millionen Wohnungen aufsuchen!? Da hätte ich jeweils nur Sekunden oder weniger Zeit, so schnell ist nichts und niemand, ich ganz gewiß nicht!"
„Klug nachgedacht!" der Weihnachtsmann nickte anerkennend. „Du musst wissen, die Zeit vergeht mit dem Weihnachtsschlitten ganz anders als in der normalen Welt, du wirst genügend davon haben und man wird dich auch nicht sehen. Du solltest dich aber trotzdem beeilen, denn wenn man sich zu lange von dem Schlitten entfernt vergeht die Zeit für einen wieder wie gehabt!"
„Das ist ein Wunder!" staunte Tom.
„Na ja, eher ein Zauber. Aber wann sonst, wenn nicht am heiligen Abend, geschehen Wunder? So, genug diskutiert, ab sofort bist du keine Küchenmaus mehr sondern 'Tom, die Weihnachtsmaus!' Nein, sag nichts, vertraue mir einfach, ich bin mir sicher, du bist der Richtige für diese Aufgabe! Und nun...", der Weihnachtsmann winkte eine Elfin zu sich, Tom betrachtete fasziniert ihre grellrot und knatschgrün geringelten Strümpfe, „...dein Kostüm! So wie du aussiehst, kannst du unmöglich die Geschenke verteilen."
Die Elfin legte ein paar winzige Kleidungsstücke vor Tom auf die Bettdecke. Es waren exakte Kopien von denen die auch der Weihnachtsmann immer trug, ein roter Mantel, rote Hosen, eine Zipfelmütze und Stiefel, nur sehr viel kleiner in Mäusegröße.
„Nur zu!" Der Weihnachtsmann lächelte erwartungsfroh. „Zieh die Sachen an. Wir sind schon alle ganz gespannt wie sie dir stehen!"Eher zögernd als begeistert schlüpfte Tom in das Kostüm. Es passte ihm wie angegossen, er sah tatsächlich aus wie ein winzigkleiner Weihnachtsmann. Lediglich sein Schwanz, und das pelzige Mäusegesicht waren etwas gewöhnungsbedürftig, aber dafür war er ja auch eine Weihnachtsmaus. Tom drehte sich und lies sich von allen Seiten bewundern, alle, auch er selbst fanden, dass ihm das Kostüm ausgezeichnet stand.„Sehr schön!", meldete sich der Weihnachtsmann wieder zu Wort, „Und nun das Wichtigste, der Gabensack mit den Geschenken!"
Er beugte sich aus seinen Kissen vor und reichte Tom mit spitzen Fingern ein Säckchen. Für Mäuseverhältnisse war es zwar ein richtiger Sack, aber in der großen Hand des Weihnachtsmannes verschwand er fast zu einem Nichts. Tom starrte mit offenen Mund abwechselnd das Säckchen und den verschmitzt lächelnden Weihnachtsmann an.
„Wie Bitte soll das wieder gehen? Da passt doch nichts hinein, nichts was für ein Menschenkind geeignet wäre! Nicht einmal ein einziges, winziges Geschenkchen!"
„Ach Tom, wie willst du einen Sack wie ich ihn habe tragen? Das wäre nun wirklich nicht möglich! Keine Sorge, es ist ein 'Gabensack', da ist die Größe unwichtig. Jedesmal wenn du in ihn greifst um ein Geschenk herauszuholen wird auch Eines darin sein, und immer das Passende für die Beschenkten. Darum musst du dich nicht kümmern, das macht der Sack für dich. Und auch die Größe der Gaben wird stimmen, lass dich überraschen!"
Tom musterte das Säckchen in seinen Händen zweifelnd, so richtig konnte er sich nicht vorstellen was der Weihnachtsmann da behauptete. Aber, so sagte er sich, der Weihnachtsmann würde schon wissen was er da tat, schließlich war er der Weihnachtsmann – anderseits, hatte er nicht auch ihn, Tom, eine Maus zu seinem Stellvertreter gemacht?
„O-Oh, das kann was werden..." murmelte er in seine Schnurrhaare.
„Genug jetzt!" Der Weihnachtsmann klatschte in die Hände, „Die heilige Nacht beginnt und wir haben viel zu tun. Höchste Zeit, dass sich unsere Weihnachtsmaus auf den Weg macht! Tom, mein kleiner Freund, ich, wir, die Kinder da draußen zählen auf dich. Du wirst uns nicht enttäuschen und eine ganz famose Weihnachtsmaus abgeben, da bin ich mir ganz sicher!"
Tom sah in das freundliche Gesicht des Weihnachtsmannes, und wünschte sich nur halb so zuversichtlich wie der zu sein. Trotz allem war er doch nur eine Maus, und hatte je eine Maus vor einer so großen und wichtigen Aufgabe gestanden? Nein, und das hatte sicher seinen Grund.
Die Elfin mit den grellen Ringelstrümpfen nahm Tom vorsichtig in ihre Hände.
"Ich bringe dich jetzt zum Weihnachtsschlitten!"
Schon lief sie leichtfüßig, wie es nur Elfen können, los. Tom sah zurück, der Weihnachtsmann winkte ihm zu, er wirkte zuversichtlich und strahlte über das ganze Gesicht.
„Machs gut, Tom! Bis Morgen früh und dann feiern wir unser Weihnachtsfest! Du wirst sehen, alles wird gut!"
Tom hatte kaum Zeit seine Gedanken und Gefühle zu ordnen, da waren sie auch schon im Stall angelangt. Vor ihnen stand der prächtige Schlitten, an dem ein paar Elfen noch letzte Polituren vornahmen, er erschien Tom so groß wie ein Gebirge.
„Du meine Güte! Wie soll ich dieses riesige Ding lenken?", stöhnte er erschrocken auf.
Die Elfin lachte als hätte Tom gerade einen Witz erzählt. „Gar nicht, Weihnachtsmaus. Die Rentiere kennen den Weg."
Erst jetzt entdeckte Tom das Gespann so sehr hatte ihn der Schlitten in den Bann geschlagen. Bis auf das Leittier an der Spitze standen sie paarweise vor dem Schlitten, unruhig scharrten sie im Stroh.
„Das ist Rudolph. Er führt das Gespann!", stellte die Elfin das vorderste Rentier vor. Tom fiel dessen rote Nase auf, fast so rot wie die vom Weihnachtsmann, hatte Rudolph etwa auch Schnupfen?
„Wir haben keine Zeit dir die Route beizubringen. Die ist nämlich sehr kompliziert wegen den verschiedenen Zeitzonen und weil in manchen Ländern schon am frühen Abend beschert wird und in anderen erst am nächsten Morgen – ich verstehe das auch nicht so richtig...", die Elfin zog eine niedliche Schnute um gleich darauf wieder zu lächeln. „Aber damit habe ich zum Glück nichts zu tun! Nun, jedenfalls kennt sich Rudolph aus, er kennt die Route in und auswendig. Laß die Rentiere einfach laufen sie bringen dich sicher zu den richtigen Orten und du musst dann nur noch die Geschenke abliefern die in dem Sack sind." Die Elfin hob eine ihrer geschwungenen Brauen. „Hmm... das hört sich ja wirklich einfach an, selbst für eine Maus. Der Weihnachtsmann hatte wohl doch recht dich auszuwählen. Weißt du, unter uns gesagt, ein paar von uns Elfen hatten da ihre Zweifel."
Nicht nur ihr!, dachte Tom und sagte laut: „Dann ist ja gut! Wenn alles bereit ist, dann sollte ich mich besser mal auf den Weg machen. Verzögerungen können wir uns trotz allem nicht leisten!"
„Stimmt, Weihnachtsmaus!"
Die Elfin setzte Tom kurzerhand auf dem Bock des Schlittens ab. Dann verscheuchte sie die letzten Elfen die noch an dem Gefährt rumputzten und nickte Rudolf zu der sie aufmerksam beobachtete.
„Los geht’s! Beschert die Kinder der Welt. Ihnen zur Freude, uns zum Wohlgefallen!", schelmisch zwinkerte sie Tom zu. „Nicht so prickelnd, aber der Spruch ist Tradition, da kann man nichts machen."
Dann sprangen die Rentiere los und der Schlitten setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Tom wurde in die Sitzbank gedrückt, die Wände des Stalls flogen an ihm vorüber und schon leuchteten die Sterne des Nordpols über ihm auf. Nur kurz hörte er noch den Schnee unter den Schlittenkufen und Schritten der Rentiere knirschen, dann wurde es plötzlich seltsam ruhig. Tom hörte nur noch den sachten Fahrtwind und das gleichmäßigen Atmen der Rentiere. Der Schlitten schwankte kaum merklich, Tom konnte problemlos wieder aufstehen. Damit er nicht wegrutschen konnte verstaute er den Gabensack sorgsam in einem Winkel der Sitzbank, dann kletterte er die Lehne hoch um sich einen Überblick zu verschaffen. Was er sah verschlug ihm Atem und Stimme. Vor ihm bewegte sich die Doppelreihe der Rentiere die den Schlitten durch die Luft zogen, so sicher, als würden sie über eine feste Straße galoppieren. Weit unter ihnen erstreckte sich die endlose Schneewüste der Arktis in sanften, nächtlichen Blau von Horizont zu Horizont und über ihnen spannte sich ein kristallklarer, funkelnder Sternenhimmel. Es sah großartig aus und Tom fühlte sich auf einmal auch großartig. Plötzlich hatte er keinen Zweifel mehr, daß er seiner Aufgabe als Weihnachtsmaus gewachsen war. Er würde alle Geschenke abliefern, so gut wie der Weihnachtsmann, vielleicht sogar besser. Tom richtete sich zu seiner ganzen Größe auf, streckte die Arme empor und rief in den kalte Nacht hinaus: „Ich bin der König der Mäuse!"
In Windeseile hatten sie die eisige Regionen verlassen und überquerten ein dunkles, im Mondlicht schimmerndes Meer. Dann erkannte Tom in der Ferne Land, er hatte keine Ahnung wie es hieß, aber er wusste, dass es nun ernst werden würde.
Ehe er sich versah tauchten einige Lichter unter ihnen auf, die sich schnell zu einer kleine Stadt ausweiteten. Die Rentiere wurden langsamer und zogen den Schlitten in einem sachten Bogen über die nächtlichen Dächer.
„Jetzt ist es soweit!", dachte Tom aufgeregt, „Jetzt muß ich zeigen was in mir steckt!"
Tatsächlich steuerten die Rentiere direkt auf ein kleines Haus am Stadtrand zu, Tom fragte sich wie sie anhalten wollten. Er hatte zwar gehört das sie auf den Dächern landeten, was auch sinnvoll war wenn man durch den Kamin ins Haus wollte, aber jetzt wo er es hautnah miterlebte kam es ihm arg – riskant vor. Der Schlitten war immer noch recht schnell und das Dach ziemlich kurz – viel zu kurz, das würde schief gehen! Toms Magen verkrampfte sich, er klammerte sich an der Lehne fest und kniff in Erwartung des Aufpralls die Augen zu – doch nichts geschah! Zögerlich öffnete er wieder die Augen und sah ängstlich um sich. Staunend stellte Tom fest, dass der Schlitten so sicher auf dem Dach stand als wäre er ein Teil von ihm, es war nicht passiert. Die Rentiere sahen ihn erwartungsvoll an, täuschte er sich oder grinsten einige von ihnen wie nach einem gelungenen Scherz?
„Aber natürlich!" Tom schalt sich einen Narren. Wie konnte er nur zweifeln, die Rentiere kutschierten den Schlitten schon seit Ewigkeiten, sie wussten genau was sie tun mussten, da konnte gar nichts schief gehen! Allerdings vermutete er, dass sie diesmal ein besonders gewagtes Manöver geflogen waren um ihm, dem Neuling, einen Schreck einzujagen.
Rudolph scharrte ungeduldig mit den Hufen im Schnee und deutete mit seiner roten Nase auf den Kamin. Ein eindeutiger Hinweis an die Weihnachtsmaus mit der Arbeit zu beginnen und nicht herumzutrödeln. Tom straffte seine kleine Gestalt, hüpfte von der Lehne auf die Sitzbank und zog den Gabensack aus seinem Winkel.
„Gut!", machte er sich Mut „Es ist ganz einfach. Übers Dach, den Kamin rauf, rein und runter in die gute Stube, Geschenke hinlegen und wieder zurück. Kein Problem! Mach’ ich doch mit Links!"
Tom atmete noch einmal tief durch, dann sprang er von dem Schlitten, rannte über das schneebedeckte Dach den Kamin hinauf. Ängstlich sah er in den schwarzen Schlot der ihm arg bedrohlich vorkam, instinktiv zögerte er in ihn hinein zu steigen. Hinter sich hörte er Rudolph auffordernd Schnauben, es half alles nichts, da musste er durch, jetzt und noch sehr oft in dieser Nacht!
„Oje!...", Tom fasste sich ein Herz und kletterte kurzentschlossen den düsteren Kamin hinab. Es ging überraschend einfach und schneller als er erwartet stand er im Wohnzimmer des Hauses. Tom sah sich neugierig um, noch nie hatte er etwas anderes als das Haus des Weihnachtsmannes gesehen, hier war alles neu für ihn. Die Möbel, Teppiche, die Bilder an den Wänden und den ganzen Krimskrams den sich Menschen in die Regale stellen. Ein eigenartiges rechteckiges Ding mit einer schwarzen Glasscheibe an der Vorderseite fiel ihm besonders auf. Tom hatte nicht den Hauch einer Idee was es darstellen sollte aber es musste wichtig sein, denn die Sitzmöbel waren alle darauf ausgerichtet. Tom kratzte sich nachdenklich am Kinn, Menschen waren schon seltsam...
Dann wandte er sich dem wichtigsten Gegenstand im Zimmer zu, dem Weihnachtsbaum. Er war liebevoll geschmückt, mit bunten Kugeln, viel Lametta, blinkenden Kerzen und einem funkelnden Stern an der Spitze. Allerdings waren diese Bäume im Haus des Weihnachtsmannes ein gewohnter Anblick, so daß dieser hier Tom nicht sonderlich beeindruckte. Gespannt nahm er den Gabensack von der Schulter, jetzt in der großen Menschenwohnung kam er ihm noch winziger vor. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen wo in ihm Geschenke für Menschenkinder sein sollten.
„Auf geht’s!", gab sich Tom einen Ruck, „Der Weihnachtsmann hat gesagt, dass es funktioniert. Wir werden sehen..."
Entschlossen langte er in den Sack, da war etwas, er griff zu und zog ein bunt verpacktes Päckchen heraus. Soweit so gut, zumindest war etwas in dem Sack. Tom legte das Geschenk unter den Weihnachtsbaum, er zögerte, plötzlich war sich Tom völlig sicher, dass das nicht alles gewesen sein konnte. Nacheinander holte er noch vier weiter Päckchen aus dem Sack.
„Ja!", dachte er zufrieden, „So ist es richtig! Fünf Gaben, nicht mehr, nicht weniger! So muß es sein!". Tom wusste nicht warum er sich so sicher war, vielleicht lag es an dem Sack, vielleicht an dem Kostüm, vielleicht auch nur daran, dass er die Weihnachtsmaus war, aber alles war nun so wie es sein sollte.
Tom trippelte zurück zum Kamin, hielt an und sah noch einmal zurück. Er lächelte breit als er die Geschenke unter dem Baum sah. Sie waren nicht mehr klein und winzig, hinter seinem Rücken hatten sie eine zu Menschen passende Größe angenommen.
„Dachte ich’s mir doch. Wie der Weihnachtsmann sagte, es ist eine Nacht der Wunder. Was kann da schon schief gehen?"
Zu ersten Mal war nun auch Tom davon überzeugt, dass er seine Aufgabe als Weihnachtsmaus bewältigen konnte, mit einem glücklichen Jauchzer rannte er den Kamin hoch. Er konnte es kaum erwarten die nächsten Geschenke abzuliefern, es warteten ja noch so viele Kinder auf ihre Gaben, und er, Tom, würde sie ihnen bringen!
Jetzt, nachdem Tom nicht mehr von Selbstzweifeln behindert wurde ging die Bescherung flott voran. Die Rentiere flogen den Schlitten unter Rudolphs Führung von Haus zu Haus, landeten auf einem verschneiten Dach nach dem anderen, flogen unermüdlich von einem Dorf zum Nächsten, von Stadt zu Stadt. Tom hatte längst aufgegeben zu zählen wie viele Wohnungen er schon besucht und wie viele Geschenke er aus dem unerschöpflichen Gabensack geholt hatte. Es mussten unendlich viele gewesen sein, und doch spürte er keine Ermattung oder nachlassen seines Eifers. Um sich zu stärken knabberte er ab und zu an den Keksen und trank von der Milch welche die Kinder mancherorts für den Weihnachtsmann bereitstellten. Was sie wohl sagen würden wenn sie wüssten, daß ihre Gaben diesmal nicht für den großen, dicken Weihnachtsmann waren, sondern für eine kleine Maus in einem roten Kostüm?
Irgendwann in dieser schier endlosen Nacht erreichten sie ein Häuschen etwas abseits eines Dorfes. Der Schlitten landete wie gehabt auf dem Dach, Tom kletterte, wie schon tausende Male zuvor durch den Kamin und flitzte direkt zu dem, fast zu üppig dekorierten, Weihnachtsbaum. Er wollte gerade die Geschenke aus dem Gabensack holen, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Tom spitzte die Ohren, jemand hatte ihn entdeckt und kam leise auf ihn zu.
„O-Oh!", dachte er beunruhigt, „Sowas sollte eigentlich nicht passieren!"
Tom drehte sich um und ihm rutschte das Herz in die Hose. Eine große, schwarzweiß gefleckte Katze musterte ihn aus schmalen, gelben Augen, ihr Schwanz zuckte von einer Seite zur Anderen.
„Ei, was haben wir denn da?", schnurrte sie trügerisch freundlich, „Einen kleinen Mitternachtssnack! Und so appetitlich verpackt. Oh, ich weiß. Du bist mein Weihnachtsgeschenk, nicht wahr?!"
„N... Nein! Ganz und gar nicht! Ich... ich... ich bin die Weihnachtsmaus!", stotterte Tom der von der Situation völlig überfordert war. Er kannte nur eine einzige Katze, den dicken, roten Kater des Weihnachtsmannes der meist auf dem großen Kachelofen döste und mit dem er sich prächtig verstand. Aber wie jede Maus wusste er natürlich, dass Katzen in ihnen normalerweise nur Futter sahen und sie ihnen aus dem Weg gehen mussten. Und wenn alles zu spät war flüchten, aber wie man das machte hatte er dummerweise nie gelernt.
„Eine Weihnachtsmaus? Davon habe ich noch nie gehört. Klingt aber irgendwie lecker!"
Die Katze grinste breit und zeigte dabei zwei Reihen erschreckend spitzer Zähne.
„Nein, du darfst mir nichts tun! Der Weihnachtsmann ist krank und ich verteile an seiner Stelle die Geschenke. Hier, siehst du!? Kostüm, Gabensack und auf dem Dach ist der Schlitten und die Rentiere!"
Die Katze legte den Kopf schief und musterte den vor Angst erstarrten Tom scharf. Dann beugte sie sich vor und schnüffelte an ihm.
„hmm... Ein wenig riechst du wie der Weihnachtsmann. Ich mag ihn, er krault mich immer wenn er vorbeikommt... Trotzdem, irgendwie glaube ich dir nicht. Ich denke ich fresse dich!"
„Warte!", fiepste Tom schrill, „Ich beweise es dir!"
Zitternd streckte er der Katze den Gabensack entgegen. „Ich hole die Geschenke raus, dann musst du mir glauben!"
Nervös langte Tom in den Sack, nahm ein, zwei, drei Päckchen heraus und legte sie mit fahrigen Fingern unter den Weihnachtsbaum. Er zögerte kurz, da fehlte noch etwas, erneut griff Tom in den Sack und zog noch eine vierte Gabe heraus. Verblüfft vergaß Tom für einen Augenblick die bedrohliche Katze neben sich.
„Was ist das denn?"
Er hielt eine bunte Gummimaus mit einer roten Schleife um den Hals in der Hand, sie quietschte als er sie aus Versehen drückte
"Eine Spielmaus! Die ist für mich!", maunzte die Katze entzückt und machte einen kleinen Satz nach hinten, „Na gut, Weihnachtsmaus, ich glaube dir jetzt – auch wenn es mir immer noch komisch vorkommt, eine Maus als Weihnachtsmann... Seltsam, seltsam..."
Tom fiel vor Erleichterung ein ganzes Gebirge vom Herzen, er würde die Nacht nun doch nicht als Katzenfutter beenden.
„Danke! Vielen herzlichen Dank!"
Tom wollte gerade wieder gehen, da fiel ihm noch etwas ein. Verwirrt fragte er die Katze: „Wieso kannst du mich eigentlich sehen? Der Weihnachtsmann sagte, für mich vergeht die Zeit heute Nacht anders als für alle anderen. Niemand konnte mich bisher sehen!"
Die Katze lachte leise, „Tja, dann hat er vergessen hinzuzufügen, dass das nicht für uns Katzen gilt. Wir sind anders als andere Tiere, wir sehen verborgene Dinge, laufen auf dem Mondlicht, haben neun Leben... und viele Geheimnisse!"
„A-ha...", entgegnete Tom gedehnt, „Na, dann wird es am Besten sein ich achte ab sofort darauf das keine Katzen im Zimmer sind wenn ich die Geschenke bringe. Womöglich sind nicht alle so einsichtig wie du."
„Tu das, Kleiner. Tu das!", sagte die Katze mit schläfriger Stimme und legte sich auf dem Teppich nieder. Täuschte sich Tom, oder hatte sie plötzlich etwas koboldhaftes an sich?
In diesem Augenblick, weit weg in einem kleinen Häuschen am Nordpol, verschüttete der Weihnachtsmann vor Schreck seinen Pfefferminztee als ihm einfiel, dass er völlig vergessen hatte Tom vor den Katzen zu warnen...
"Auweia! Das war haarscharf!", dachte Tom als er wieder auf der Lehne des Schlittens saß, „Hoffentlich gibt es nicht noch mehr Dinge die ich wissen sollte und der Weihnachtsmann mir nicht gesagt hat. Diese eine Überraschung hat mir völlig gereicht!"
Weiter ging die nächtliche Reise des Weihnachtsschlittens rund um die Welt. Tom suchte unermüdlich ein Haus, eine Wohnung nach der anderen auf, verteilte schier zahllose Geschenke und noch war kein Ende abzusehen. Seit der Begegnung mit der Katze allerdings rannte er nicht mehr schnurstracks zu den Weihnachtsbäumen sondern spähte zuerst vorsichtig in die Zimmer ob dort nicht vielleicht ein Stubentiger auf der Lauer lag. In diesen Fällen schlich er auf Zehenspitzen so leise wie er konnte durch die Räume, legte die Gaben lautlos ab und verschwand wieder so schnell er konnte. Eine Methode die sich bewährte, zu Toms Erleichterung kam es zu keinen unerfreulichen Begegnungen mit Katzen mehr.
Der Weihnachtsmaus kam es vor als wären sie schon eine Ewigkeit unterwegs, Tage, Wochen, Monate in denen sie pausenlos Geschenke ablieferten, von Kontinent zu Kontinent reisten. Und doch war es immernoch dieselbe Nacht in der sie am Abend aufgebrochen waren. „Eine Nacht der Wunder!", dachte Tom zum wiederholten Male, „Für die Welt steht die Zeit fast still damit wir unsere Aufgabe erfüllen können! Aber nur fast!"
Tom betrachtete den Mond, er war unmerklich langsam über den Sternenhimmel gewandert, aber mittlerweile näherte er sich dem Horizont, bald würde die Morgendämmerung anbrechen. Für Tom ein Zeichen, dass sie beinahe fertig waren, nur noch vergleichsweise wenige Gaben waren zu überbringen und sie konnten wieder nach Hause zurück.
Tom war glücklich, „Bald ist es vollbracht!"
Eine große Küstenstadt breitete sich unter ihnen aus. Die Rentiere brachten den Schlitten routiniert von den kleinen, schmucken Häusern der Vororte bis zu den tristen Wohnblöcken der Außenstadt. Nach welchem Plan sie dabei vorgingen hatte Tom immer noch nicht verstanden, doch Rudolph machte es äußerst geschickt, nie mussten sie Umwege machen oder ein Dach zweimal überqueren, keinen Meter flogen sie mehr als nötig.
Schließlich landete der Schlitten auf dem Flachdach eines riesigen, grauen Wohnkomplexes. Tom rümpfte die Nase, mittlerweile kannte er diese großen Gebäude, er mußte in dieser Nacht schon viele besuchen. Oft waren sie ärmlich und heruntergekommen, manche halbe Ruinen. In ihnen lebten die Menschen oft dichter gedrängt als in anderen Häusern, es roch nach Angst und Wut, es waren unangenehme Orte. Und doch, auch hier wurde Weihnachten gefeiert, auch hier warteten Kinder voller Hoffnungen und Träume auf ihre Gaben. Die Geschenke die Tom in den engen Wohnungen aus seinem Sack holte waren kleiner und weniger an Zahl, die Bäumchen und Dekorationen bescheidener als in den schönen Häusern und Appartements außerhalb der Wohnblöcke, aber nicht weniger liebevoll gestaltet, ganz im Gegenteil. Tatsächlich schien es Tom oft als ob dort seine Gaben mehr geschätzt wurden, denn war ein kleines Geschenk das von Herzen kam nicht mehr Wert als viele Große die als etwas Selbstverständliches betrachtet wurden? War es nicht berührender wenn ein Kind den einzigen Keks, den es für sich selbst bekommen hatte, dem Weihnachtsmann überlies und nicht einfach von einem überreichlich gefüllten Teller nahm?
Tom mochte diese Wohnblocks nicht, aber er brachte den Kindern in ihnen gerne Geschenke. Irgendwie hatte er den unangenehmen Eindruck, dass ihnen sonst nicht viele Wünsche erfüllt wurden, aber er konnte ihnen auf diese Art wenigstens ein bisschen Freude schenken. Mit das Unangenehmste an diesen Häusern war für Tom, das sie meist keine richtigen Kamine hatten und er deshalb durch die Lüftungsschächte krabbeln musste um in die Wohnungen zu gelangen. Die Rohre waren schmutzig, staubig, voller Spinnweben und müffelten, manchmal stank es regelrecht, nicht selten waren sie auch kaputt und er musste Umwege nehmen. Das alles brauchte Zeit und er beeilte sich da er immer Warnung des Weihnachtsmannes gegenwärtig hatte, sich nicht zu lange von dem Schlitten zu entfernen da sonst die Zeit für ihn wieder normal ablaufen würde.
Nach nur zwei Wohnungen geschah das Unglück...
Gerade huschte Tom durch einen bedenklich wackligen,angerosteten Lüftungsschacht als er ein Knirschen hörte, leise aber durchdringend. Erschrocken blieb Tom stehen, instinktiv ahnte er was gleich passieren würde
„Oh Nein!", fiepste er entsetzt, da brach auch schon der Schacht entzwei und er stürzte in einen bodenlosen, schwarzen Abgrund hinab...
„Aua! Aua! Au!"
Tom saß irgendwo in einem schummrigen Loch, es war schmutzig, sein Kopf und Hintern taten ihm weh und er wusste nicht wo er war. Weit über sich erkannte er eine schwache Lichtquelle, der gebrochene Lüftungsschacht.
„Das darf doch nicht wahr sein!", murmelte Tom empört und erleichtert zugleich. „Bricht das Ding weil eine Maus durchläuft - eine Maus! Dabei wiege ich doch fast nichts! Wenigstens habe ich mir nichts Ernstes getan, Glück im Unglück! Das wäre was gewesen wenn ich keine Geschenke mehr verteilen könnte, so kurz vor dem Ziel..."
Er erstarrte. „Der Sack! Wo ist der Gabensack?"
Panisch sprang Tom auf und sah sich hektisch um, in dem Dämmerlicht konnte er kaum etwas erkennen und der Boden war mit Abfall übersät. Aber irgendwo hier musste der Sack sein, er wusste es genau, er war mit ihm in die Tiefe gefallen.
Tom wühlte und suchte wie besessen im Unrat, doch er fand den Sack nicht, so sehr er sich auch bemühte. Mit Tränen in den Augen kauerte er an der Wand, enttäuscht von sich und dem Schicksal.
„Dabei ist doch bisher alles so gut gelaufen, wieso musste das jetzt noch passieren? Wieso?" jammerte er, Tom sah buchstäblich schwarz für sich und Weihnachten.
Da, ein Kichern drang aus dem Dunkel...
„HiHiHi... Eine Maus voller Graus, weit weg von Zuhaus. Sie weint, sie greint, sucht Dinge wie’s scheint... „
„Wer... wer ist da?", fragte Tom irritiert in die Finsternis.
„Bin weder Maus noch Laus doch wohn’ ich im Haus. Verborgen, gehasst, gefürchtet. Überall und nirgends! Na?"
„Was soll das? Ich habe wirklich keine Lust auf Spielchen. Nicht im geringsten!"
„Spielverderber!"
In den Schatten vor Tom bewegte sich etwas, es raschelte und kam auf ihn zu ins staubige Licht hinaus... Der Fremde war groß, fast so groß wie eine Katze, sah dabei aber beinahe wie eine Maus aus...
„Eine Ratte!", quietschte Tom und drückte sich vor Schreck an die Wand.
„Ja, eine Ratte!", zischte sie, „Na und? Du tust gerade so als wäre das was Schlimmes, wie die Menschen. Dabei sind wir von derselben Art, kleiner Vetter!" Die schwarzen Augen funkelten wütend, „Du trägst Kleidung, wie ein Mensch. Willst du ein Mensch sein?"
Jedesmal wenn die Ratte 'Mensch' sagte hörte es sich wie ein Schimpfwort an, Tom konnte ihre Wut förmlich riechen. Hinter der Ersten schälten sich nun weitere Ratten aus dem Dunkel, die kleine Maus hatte ein Problem, ein wirklich großes Problem!
„Nein, ehrlich, ich will kein Mensch sein! Wollte ich nie! Ich bin eine Maus und nichts anderes. Das hier...", brach es aus Tom heraus, er zog an seinem roten Mantel, „... ist eine Ausnahme. Nur für diese Nacht weil doch Weihnachten ist und der Weihnachtsmann krank ist und ich ihn vertrete und die Geschenke verteile weil die sonst nicht bei den Kindern ankommen würden..."
Tom verstummte als die Ratten lauthals zu lachen anfingen. Sie lachten Tränen aber er konnte nicht einschätzen ob das ein gutes Zeichen war. Scließlich stieß die vorderste Ratte einen Pfiff aus und es wurde wieder still.
„Der war gut, kleine Maus! Du bist ein richtiger Spaßvogel."
Tom atmete auf, „Dann lasst ihr mich gehen?!"
„Selbst wenn es stimmen würde was du sagst, was geht’s uns an?"
Die Stimme der Ratte bekam einen bitteren Beiklang, „Bei uns ist der Weihnachtsmann nie gewesen. Unsere Kinder haben nie Geschenke von ihm bekommen. Nie! Sind sie ihm etwa weniger wert als die der Menschen? Jedes Jahr, jedes, hoffen die Kleinen das er kommt und immer werden sie enttäuscht! Sag, kleine Maus, ist das gerecht?"
„Nein...", flüsterte Tom verwirrt, an andere als Menschenkinder hatte er noch nie gedacht. Gut, Bert und Annie bekamen Geschenke, aber sie wohnten ja auch unter einem Dach mit dem Weihnachtsmann, das war etwas anderes, oder etwa nicht? ...
„Nein, das ist nicht gerecht. Ich... ich würde eure Kinder gerne bescheren, aber ich habe meinen Sack verloren – und ich weiß auch nicht ob er euch etwas gegeben hätte, darauf habe ich keinen Einfluss..."
„Den Menschen einen Weihnachtsmann, uns Ratten eine Weihnachtsmaus. Ob das was Gutes werden kann, Probieren wir’s doch aus!"
Unruhig registrierte Tom den lauernden Unterton in den schrägen Reimen der Ratte. Sie trat näher zu ihm heran und hielt Tom etwas Dunkles entgegen. Sein wild klopfendes Herz machte einen Sprung, es war der scheinbar verloren gegangene Gabensack!
„Erstaunlich was man hier unten im Dreck alles findet, nicht wahr?", knurrte die Ratte und fügte drohen hinzu: „Bescherung, kleine Maus. Wir warten!"
„Aber... die Geschenke sind für die Kinder!", Tom wagte kaum es zu sagen.
„Kein Problem!", die Ratte richtete sich auf und winkte nach hinten in die Schwärze, „Ihr könnt herauskommen!"
Die großen Ratten rückten zur Seite, kleine Schatten trippelten zwischen ihnen hervor ins Zwielicht. Tom schluckte, ein gutes Dutzend Rattenkinder sahen ihn mit großen, dunklen Augen an, schüchtern, hoffnungsvoll. Sie erinnerten ihn an seine eigenen Kinder, Bert und Annie, die Ratte hatte recht, so groß war der Unterschied zwischen ihnen und den Mäusen nicht. Toms Hände klammerten sich an den Gabensack.
„Hoffentlich gibt der Sack etwas für sie heraus!", wünschte er inständig, „Oh Bitte, gib etwas. Es muß ja nicht viel sein, nur ein wenig!"
Tom war furchtbar nervös. Er öffnete den Gabensack und langte langsam mit zitternden Händen hinein. Die Rattenkinder beugten sich neugierig vor, die Kleinen waren mindestens so aufgeregt wie er.
Da, Tom spürte etwas an den Fingern, ein Päckchen! Fast hätte er einen Freudenschrei ausgestoßen, der Sack bescherte die Rattenkinder! Die kleinen Ratten waren überglücklich. Sie piepsten fröhlich, rannten aufgeregt durcheinander und zeigten jedem stolz die Geschenke die sie bekommen hatten.
Es waren wirklich nur kleine Päckchen, aber die Ersten die sie je bekommen hatten was den Wert für sie ins unermessliche steigerte. Manchen der Kleinen standen Freudentränen in den Augen und sie alle bedankten sich überschwänglich bei ihrer Weihnachtsmaus. Tom steckte ein dicker Kloß im Hals, niemals hätte er angenommen, dass ein paar Kleinigkeiten soviel Freude bereiten könnten. In diesem Moment erkannte Tom warum der Weihnachtsmann so wichtig war, besonders für die, die sonst nicht viel hatten.
Aber da waren noch viele weiter Kinder die er beschenken musste. So schön es auch war den aufgedrehten kleinen Ratten zuzusehen, er musste weiter und hatte keine Zeit noch länger bei ihnen zu bleiben....
„Die Zeit!"
Tom schrie es fast heraus. Er unterhielt sich mit den Ratten, aber das hätte eigentlich nicht sein dürfen, sie waren schließlich keine Katzen. Wieso hatte er das nicht bemerkt? Die Angst musste sein Gehirn blockiert haben, eine andere Erklärung gab es nicht. Es war eingetreten wovor ihn der Weihnachtsmann gewarnt hatte, er war zu lange von dem Schlitten entfernt gewesen und nun galt für ihn wieder die normale Zeit. Er musste zurück, so schnell wie möglich!
„Bitte!", sagte er aufgeregt zu der großen Ratte, „Ihr glaubt mir doch jetzt, daß ich den Weihnachtsmann vertrete?! Ich muß dringend weiter? Es warten noch viele Kinder darauf beschert zu werden."
„Ja, natürlich kannst du gehen, ich sehe und verstehe jetzt wie wichtig deine Aufgabe ist. Und wir danken dir sehr, noch nie waren unsere Kinder so glücklich. Weißt du, es ist nicht einfach hier unten zu leben..."
„Das kann ich mir vorstellen. Und es war mir wirklich eine Freude – Äh... Sag, wie lange bin ich eigentlich schon hier?"
„Ich weiß nicht. Als wir dich fanden warst du bewusstlos, vermutlich hast du dir bei dem Sturz den Kopf angeschlagen."
„Bewußtlos?!" Tom sträubte sich das Fell vor Entsetzen. Auch das noch! Wieviel Zeit war inzwischen wirklich vergangen?
„Ich muß zum Weihnachtsschlitten! Sofort!"
„Gut. Ich zeige dir den Weg zurück aufs Dach."
Die Ratte führte Tom einen düsteren Gang entlang bis zu einem Riß in der Wand
"Hinter dieser Mauer ist eine Kabelröhre die bis fast zum Dach hinaufreicht. Ganz oben ist eine Verbindung zu einem Lüftungsschacht über den kommst du ins Freie. Wie benützen diesen Weg oft, er ist ganz einfach zu begehen."
„Danke!", Tom verabschiedete sich von der Ratte und schlüpfte hastig in den engen Schacht. So schnell er konnte kletterte er nach oben, er musste unbedingt wieder zu dem Schlitten!
Nach einer gefühlten Ewigkeit sprang Tom endlich aus dem Lüftungsschacht auf das schneebedeckte Dach hinaus und rannte atemlos zu der Stelle an dem die Rentiere gelandet waren. Aber dort war nichts, kein Schlitten, keine Rentiere, nicht einmal Spuren im Schnee. Panisch sah Tom um sich, rannte kreuz und quer über das Dach bis er schließlich erschöpft auf die Knie fiel. „Oh Nein! Oh Nein! Oh Nein!"
Es konnte keinen Zweifel mehr geben, der Weihnachtsschlitten, die Rentiere... sie waren weg! Und das Schlimmste, die Sonne ging gerade auf! Am Horizont verdrängte zartrosa und oranges Licht die Schwärze der Nacht, es war alles vorbei, Weihnachten, die Bescherung - alles. Tom weinte bittere Tränen, er hatte versagt, er hatte den Weihnachtsmann, seine Familie, sich selbst und, schlimmer noch, die vielen Kinder enttäuscht. Sein Zuhause, Cindy, Bert und Annie würde er auch nie mehr sehen, wie sollte er ohne den Schlitten zurück zum Nordpol kommen, zu Fuß? Völlig unmöglich! Vielleicht wenn er hier im nächsten Jahr auf den Weihnachtsmann wartete – aber Nein! Er hatte ihn so enttäuscht, der Weihnachtsmann würde ihn sicher nicht mitnehmen wollen.
Tom hatte alles verloren, er saß in dem frostigen Schnee und Kälte kroch ihm in die Glieder, aber er merkte es nicht. Er weinte und war die einsamste Maus der Welt ... Es war ein schöner, winterlicher Sonnenaufgang, doch Tom sah ihn nicht, Tränen trübten seinen Blick. Es hätte ihn auch nicht interessiert, so leer, tot und verlassen wie er sich fühlte. Alles was er kannte und liebte war in unerreichbare Ferne gerückt, da gab es nichts mehr was noch irgendeine Bedeutung gehabt hätte. Nach all den Hochgefühlen hatte das Schicksal grausam zugeschlagen, und nichts konnte daran noch etwas ändern.
Plötzlich drang etwas Helles durch den Tränenschleier, nicht die Sonne, etwas anderes. Es kam auf ihn zu.
„Warum weinst du, kleine Maus?"
Tom rieb sich die Augen. Sein Blick klarte sich auf und er sah ein junges Mädchen vor sich, fast noch ein Kind, ein warmes Licht schien von ihr auszugehen. Alles an ihr, bis auf die goldenen Augen, war weiß, das lange Haar, ihre Haut, das luftige Kleidchen. Sie stand barfuß im Schnee, scheinbar ohne die Kälte zu spüren. Doch das seltsamste an ihr, sie war nur wenig größer als Tom.
„Wer... was bist du?", flüsterte Tom überrascht.
„Oh..." Sie lachte, es war ein warmes, unbekümmertes Lachen „Das ist nicht so einfach zu erklären. Ich habe keinen Namen werde aber vieles genannt. Am besten du siehst in mir eine Fee, ich finde das kommt der Wahrheit am Nächsten. Und nun, willst du mir nicht sagen was dich bedrückt, kleine Maus?"
Tom schniefte, die Fee hatte etwas beruhigendes, Vertrauen erweckendes an sich. Trotz seiner schlimmen Situation fühlte er sich in ihrer Nähe wieder etwas wohler und die Sorgen schienen nicht mehr ganz so übermächtig. Tom erzählte dem Mädchen was geschehen war, wie er den Weihnachtsmann vertreten wollte und dabei jämmerlich versagt hatte.
„Das ist wirklich furchtbar, kleine Weihnachtsmaus!" Die Fee streichelte Toms pelzige, tränenfeuchte Wangen „Ich kann in dich sehen und weiß wie sehr du leidest. Du bist eine gute Maus, es war nicht deine Schuld das darfst du nicht glauben, so etwas kann passieren – aber nicht in der heiligen Nacht! Ich werde dir helfen."
„Aber wie... ?"
„Es ist die Nacht der Wunder, und noch ist sie nicht gänzlich vorbei!"
Tom sah die Fee mit großen Augen an, ein winziger Schimmer Hoffnung keimte in ihm auf. Stimmt, der Horizont war zwar hell, aber die Sonne war noch nicht zu sehen, mit etwas guten Willen konnte man noch von Nacht reden. Die Fee nickte Tom aufmunternd zu, trat eine paar Schritte zurück und hob die Arme. Ihre weiße Gestalt wurde heller, fing an zu leuchten und strahlte schließlich wie ein Stern. Gleichzeitig wurde es rings um sie herum dunkler, der Horizont wurde erst wieder blau dann schwarz bis sie endlich finstere Nacht umgab. Die Aura um die Fee erlosch wieder bis auf ein leichtes Glimmen, lächelnd senkte sie ihre Arme.
„Alles wird gut, kleine Weihnachtsmaus!"
Tom war sprachlos. Abwechselnd sah er von der Fee zum Mond, zu den funkelnden Sternen, bis er endlich begriff.
„Du... hast die Zeit zurückgedreht! So ein Wunder vollbringt keine Fee, wer bist du wirklich?"
„Wie gesagt, ich habe viele Namen. Manche nennen mich auch 'Geist der Weihnacht'... Oh! Sieh mal, da ist dein Schlitten!"
Unvermittelt zeigte sie auf die andere Seite des Daches. Tom drehte sich um und stieß einen spitzen Schrei aus. Wirklich, da stand der Weihnachtsschlitten mit den Rentieren davor, als wäre nichts gewesen genau an der Stelle wo sie gelandet waren. Freudig wandte Tom sich wieder der Fee zu – sie war weg, spurlos verschwunden, nur ein leises, glockenhelles Lachen verwehte in der Nacht.
Die meiste Arbeit und die größten Probleme waren bewältigt. Tom verteilte noch die letzten Gaben, dann machten sie sich wieder auf den Weg zurück zum Nordpol. Tom war glücklich, trotz allem hatte er es geschafft, er, die erste und einzige Weihnachtsmaus – er konnte es selbst kaum glauben.
In dem kleinen Haus in der Arktis warteten schon alle auf sie, der Weihnachtsmann, die Elfen, Cindy und die Kinder. Der Stall war festlich geschmückt, Tische mit leckeren Essen und Getränken waren aufgebaut, ein prächtiger Weihnachtsbaum überragte alles, unter ihm stapelten sich Geschenke für alle Anwesenden. Inmitten des Trubels saß der Weihnachtsmann in einem Schaukelstuhl, er lachte zufrieden und es ging ihm deutlich besser als noch am Morgen zuvor.
„Willkommen zu Hause, tapferer, kleiner Tom! Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann! Applaus für die beste Weihnachtsmaus aller Zeiten!"
Die Elfen klatschten begeistert Beifall. Toms Ohren wurden knallrot, ihm war der überschwängliche Lob fast peinlich, schließlich, ohne Hilfe der Fee, hätte er beinahe alles verdorben. Verlegen aber auch stolz sah er in die Runde, da fiel ihm Cindy um den Hals, dicht gefolgt von Bert und Annie.
„Unser Held! Ich bin ja so froh, dass du wieder da bist!"
Tom sparte sich eine Antwort, er drückte und herzte seine Lieben, das sagte mehr als alle Worte.
Es war ein wunderschönes, glückliches Weihnachtsfest am Nordpol, mit Musik, Tanz und vielem Gelächter. Tom musste immer wieder von seinen Abenteuern erzählen, die Elfen konnten nicht genug von der Welt außerhalb des Hauses hören. Gegen später, als es etwas ruhiger wurde gesellte sich Tom zum Weihnachtsmann der sich gerade heiße Schokolade einschenkte.
„Ich... darf ich dich etwas fragen?", druckste Tom herum.
„Natürlich, kleiner Freund."
„Warum bescherst du nur die Menschenkinder? Es gibt noch... andere die auf dich warten..."
Der Weihnachtsmann stellte seinen Kakao zu Seite und nickte betrübt, anscheinend hatte Tom einen wunden Punkt angesprochen.
„Du meinst die Rattenkinder?!"
„Oh! Du weißt... „
„Natürlich, ich bin der Weihnachtsmann!"
„Und?"
„Es ist nicht so einfach, es gibt Regeln an die auch ich mich halten muß. So leid es mir tut, ich darf leider nur die Menschenkinder beschenken. Das ist sehr, sehr Schade, aber ich kann es nicht ändern."
„Ja, sehr Schade..."
Tom schwieg betroffen, ihm wurde wieder schwer ums Herz. Er dachte an all die Tierkinder die auf den Weihnachtsmann warteten und Jahr ums Jahr enttäuscht wurden. Da strich sich der Weihnachtsmann über den weißen Bart und meinte fast beiläufig: „Es gibt vielleicht eine Lösung...", er zwinkerte Tom zu, „Eine Weihnachtsmaus wäre nicht an diese Regel gebunden!"
„Du meinst...?"
„Wen du es dir zutraust und es wirklich willst, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, daß eine gewisse Weihnachtsmaus auch nächstes Jahr wieder Gaben verteilt. Dort, wo ich es nicht darf."
Tom dachte an die überglücklichen Rattenkinder und ihre strahlenden Augen. Er sprang auf und rief begeistert: „Und ob ich will, Weihnachtsmann, ganz sicher!"
ENDE